LOB DES UMLAUTS

BÜNDIGE VITA

Geboren als ein Bürger Dritten Deutschen Reiches,
leb ich in keinem Reiche mehr.
Majuskeln treten mich in unaussprechlich Weiches.
Minuskelnd revoltiert mein R.

15. Januar 1987

LOB DES UMLAUTS

ZEITLIED
Nach dem „Kriegslied“ von Matthias Claudius

‚s ist Zeit! ‚s ist Zeit!, sich nicht mehr die Misere
Des Mißtrauns länger zu verzeihn.
‚s ist hohe Zeit – und ich begehre
Ein offnes öffentliches Sein.

Was sollt ich machen, wenn die vielen Resignierten,
Wie abgestempelt, dennoch ohne Paß,
Mich jener Untat überführten,
Daß ich sie abschwieg, was?

Weiß ich denn nicht, daß jede Kette
So stark ist wie ihr schwächstes Glied?
Und rettet mich nicht, was ich rette?
Und bin ich los, was vor mir flieht?

Was muß ich denn in meinem Lande
So tun, als kommt nur mir Bescheid?
Und warum fremd sein, und warum am Rande,
Und ängstlich vor der Sicherheit?

Warum ertrag ich nicht, daß andre anders tragen?
Was denk ich, daß sie letztlich Feinde sind?
Was unterschieb ich ihren Fragen?
Was unvertrau ich ihnen blind?

Ich geh gefangen, wenn ich mich nicht fange.
Wir gehn verloren, wenn wir uns verliern,
Wenn wir nicht hier und heute jene lange
Geduld und Offenheit riskiern.

November 1983